In Oberstdorf wurde, wie in ganz Bayern, für diesen Kreis der Nutznießer der Begriff des „Rechtlers“ geprägt. Auch hier reichen die Ursprünge jener Nutzungsrechte bis ins Mittelalter zurück. Damals gehörte zu jedem Dorf eine Allmende als Gemeinschaftseigentum der Bewohner, meist waren es Wiesen, Weiden, Felder und Ödland, Wasser- und Wegerechte oder Allmende-Wälder, in denen Holz für den Eigenbedarf geschlagen werden durfte. Während Adel und Klerus als Lehnsherren den größten Teil des Grund und Bodens in Händen hielten und hohe Abgaben von ihren Pächtern verlangten, sollte der unteilbare Besitz der Dorfgemeinschaft jedem zugutekommen, war aber auch für die sinnvolle Bewirtschaftung unbedingt notwendig.
Die jeweiligen einzelnen Rechte gehörten lange zur Hofstatt, also zum Hausbesitz, und wurden den Nachkommen der Besitzer vererbt, durften aber nicht an Außenstehende verkauft werden. So blieb der Gemeinschaftsbesitz in der Familie und der Kreis der „Rechtler“ klar umrissen. Diese waren immer auch verpflichtet, sich an Gemeinschaftsarbeiten zu beteiligen. Dazu zählten zum Beispiel Maßnahmen zum Hochwasserschutz, die Mitarbeit beim Bau öffentlicher Gebäude wie etwa Mühlen, und der Wegebau, aber auch die Anstellung und anteilige Bezahlung von Hirten für die gemeinsam genutzten Alpen.
So sollte in den 1930er Jahren der gesamte Allmendebesitz an die damals neu gebildete politische Gemeinde Oberstdorf übergehen. Aus Protest der Bauern, die um ihre Existenz fürchteten, wurde der Rechtlerverband der Ortsgemeinde Oberstdorf gegründet, der sich mit Erfolg wehrte. Schließlich konnte 1951 ein Vertrag zur Neuverteilung der Grundstücke zwischen der Ortsgemeinde und den „Rechtlern“ festgeschrieben werden, mit dem beide Seiten bis heute gut leben. Unter dem neuen Dach „Verein und Waldgenossenschaft der ehemaligen Rechtler der Ortsgemeinde Oberstdorf bekamen seine Mitglieder vor allem Weide- und Wiesengrund sowie Teile der Berg- und Schutzwälder, aber auch die Gaststätte Oytalhaus samt Grundeigentum zugesprochen. Fast immer wird man sich seither mit der Marktgemeinde Oberstdorf einig, wenn es darum geht, dass die „Rechtler“ ihre Flächen zum Beispiel für den Wintersport oder für Veranstaltungen zur Verfügung stellen, wenn neue Anlagen errichtet, Wanderwege oder Straßen angelegt werden sollen. Und selbstverständlich können die ortsansässigen Bauern den gemeinschaftlichen Besitz der „Rechtler“ nutzen, die selbst oft längst keine Landwirte mehr sind. So trägt der Weide- und Alpbetrieb zugleich viel dazu bei, die wunderschöne Allgäuer Kulturlandschaft zu erhalten!
GEMEINSAMES ZIEL IST DER ERHALT DES SO WICHTIGEN BAUMBESTANDS
Das grüne Allgäu steht ohne Zweifel für saftige Wiesen und Weiden mit zufriedenem Vieh, das beste Milch für leckeren Käse beschert und die höhergelegenen Alpregionen mit zu dem macht, wovon Urlauber träumen. In Oberstdorf sind viele dieser Alpen nach wie vor Teil des Gemeinschaftsbesitzes und in Obhut der als Verein und Genossenschaft organisierten „Rechtler“. Sie setzen sich seit langem dafür ein, verfallene Alphütten wieder aufzubauen oder Gebäude zu sanieren, um die Alpwirtschaft lebendig zu halten. Und als die Möglichkeit bestand, das längst verlassene kleine Dorf Gerstruben zu erwerben, gelang es den Mitgliedern mit vereinten Kräften, diese Herausforderung zu schultern und Gerstruben mit seinen fünf uralten Bauernhäusern und der mehr als 300 Jahre alten Kapelle zu dem musealen Schmuckstück zu machen, das es heute ist!
Das typische Erscheinungsbild der Allgäuer Alpenlandschaft prägen aber immer auch die dunkelgrünen Wälder. Sich dort aufzuhalten ist für Spaziergänger, Wanderer und Bergwanderer ein besonderer Genuss, ja sie tun Körper und Seele gleichermaßen gut. Von unschätzbarer Bedeutung sind die Bergwälder rund um den Oberstdorfer Talschluss Insbesondere, weil sie bis in die umliegenden Bergtäler genutzte Flächen, Straßen, Wege und Ansiedlungen vor Lawinen- und Murenabgängen schützen. So kommt dem Wald eine außerordentlich wichtige Rolle zu. Die unverzichtbaren Berg- und Schutzwälder entsprechend zu bewirtschaften und sie zugleich in bestmöglichem Zustand zu erhalten, haben sich die Oberstdorfer „Rechtler“ seit langem auf die Fahnen geschrieben. Als „Verein und Waldgenossenschaft der ehemaligen Rechtler der Ortsgemeinde Oberstdorf“ verfügen die Mitglieder über einiges an Waldbesitz. Sie bringen sich tatkräftig ein, übernehmen Verantwortung für den Erhalt ihrer Bergwälder und somit für das Gemeinwohl. In den Genossenschafts-Wäldern, die fast ausschließlich aus Schutzwäldern bestehen, betreiben sie selbständig die Forstwirtschaft in enger Zusammenarbeit mit den staatlichen Forstämtern. Dazu gehört insbesondere die Pflege, die Verjüngung und Aufforstung des Waldes. Jedem Genossenschaftler steht auch heute noch ein Teil des geschlagenen Holzes für den Eigenbedarf zu, so wie es schon immer in den Allmende-Wäldern ein Holznutzungsrecht gab, auch wenn diese Arbeit heute versierten Waldarbeitern überlassen wird. Immer gilt dabei im Sinne der Nachhaltigkeit, nicht mehr Holz zu schlagen als nachwachsen kann.
Schon vor vielen Jahren übernahmen die „Rechtler“ die Pflege des Waldgebiets rund um den Moorweiher mit dem traditionsreichen ersten Freibad Oberstdorfs und öffneten dabei auch wieder die Sichtschneisen zwischen See und Ort, die es dort seit jeher gab. „Unsere Prämisse ist es heute, den Wald zu erhalten“, bestätigt Herr Gambeck, der Erste Vorsitzende des Vereins. „Der Wald der Rechtler dient fast zu hundert Prozent dem Schutz der Objekte, darunter unsere Gaststätte im Oytal und das Museumsdorf Gerstruben.“ Aber natürlich soll der Baumbestand auch alles andere vor Lawinen und Muren bewahren. „Das konnte man zuletzt wieder im Spätsommer bei den Murenabgängen nach dem vielen Regen sehen“, betont Gambeck. „Wäre der Schutzwald nicht in Ordnung gewesen, hätte es große Probleme gegeben!“ So wird es auch in Zukunft eine der wichtigsten Aufgaben der „Rechtler“ sein, ihre Wälder zu pflegen und zu erhalten, im Dienste der Allgemeinheit!