Sagt man einem Liebhaber der Oberstdorfer Berge, er solle vor seinem inneren Auge einmal das typische Bild der Allgäuer Bergwelt entstehen lassen, er würde wohl ohne langes Zögern das Dreigestirn von Mädelegabel, Hochfrott- und Trettachspitze benennen. Kein Wunder, denn diese Gipfel ruhen so harmonisch über den zerklüfteten Flanken des Bacherlochs, dass sie die bewundernden Blicke aller Bergfreunde auf sich ziehen.
Ein elegantes Felshorn ist die 2.595 Meter hohe Trettachspitze, an der schon der „Normalweg“ einiges Kletterkönnen erfordert, mit ringsum steilen, bis knapp fünfhundert Meter hohen Wänden. Im Sommer 1855 erstiegen die Allgäuer Brüder Urban, Alois und Matthias Jochum den Berg über den Nordostgrat (Schwierigkeitsgrad II) als Erste.
Einer, der mit großem sportlichem Engagement die Erschließung der Allgäuer Bergwelt in Angriff nahm und mit der Trettachspitze fundamentale Erfahrungen verband, war Josef Enzensperger (1873 – 1903). „Auf diesem Berge hat der hochalpine Gedanke von mir Besitz ergriffen, damals war mir der Sinn für den unendlichen Reiz aufgegangen, den die Schwierigkeiten der Alpenwege auf einen frischen, tatenfrohen Geist ausüben“, verkündete er einst. Ihm ging es nicht mehr nur um die Gipfel, sondern der Weg wurde das Ziel. Mehr als zehn neue Routen eröffnete der Sonthofener im Allgäu. Wie sein Bruder Ernst (1877–1975) gehörte er 1892 zu den Mitgründern des Akademischen Alpenvereins in München, und mit seinen Taten und Schriften lockte er Wanderer wie Bergsteiger, ja sogar die Münchner Spitzenkletterer in die Allgäuer Alpen.
Mehr noch, mit dieser Route hielt sozusagen der moderne Klettersport Einzug ins Allgäu! Dabei sollte vor allem die abwärtsgeschichtete und kaum Zwischensicherung bietende plattenartige Wand eine gewaltige Herausforderung darstellen. „Der Aufstieg vollzieht sich durch einen Kamin auf einen schmalen Felspfeiler, der weit in die furchtbare, wohl 600 m unvermittelt in die ‚Wilden Gräben‘ abstürzende Wand hinausgebaut ist. Die über diesen Felspfeiler sich erhebende Plattenwand ist von äußerster Schwierigkeit und bietet erst nach 38 bis 40 m Höhe den ersten kleinen Ausruh- und Versicherungspunkt“, berichtete Josef Enzensperger später über seine Erstdurchsteigung. 1899 eröffnete Adolf Schulze (1880 – 1971), wie Enzensperger ein bedeutender Erschließer eindrucksvoller Klettereien im Allgäu, bei der fünften Begehung der Südwand anstelle der verzwickten Einstiegsseillänge seines Vereinskameraden eine leichtere Variante, die heute noch üblich ist. Doch obwohl die Kletterei durch die Trettachspitze-Südwand nach wie vor als durchaus lohnend gilt, wird sie nicht zuletzt wegen des recht anspruchsvollen 400-Meter-Vorbaus eher wenig begangen. So entscheiden sich Genusskletterer lieber für die einfacher zugängliche Nordwand-Route.
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Erste Winterbegehung der Trettach-Ostwand. Damals ... im Februar 1939
Die Trettachspitze ist mit Ihren 2.595 Metern der höchste, rein deutsche Berg der Allgäuer Alpen.